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Greenwald im Interview: Journalisten sind immer Aktivisten

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Gesellschaftlichen Einfluss auszuüben ist für viele, gerade politische Journalisten, Hauptmotivation, diesen Job zu ergreifen. Trotzdem wird das Bild des objektiven, neutralen oder sonstwie wertfreien Journalismus immer noch gefordert und gefördert. Journalisten – so der Anspruch gerade in etablierten Leitmedien – dürfen sich nicht mit einer Sache gemein machen, sollen ausgewogen berichten und ihren eigenen Standpunkt möglichst außen vor lassen, um das Publikum nicht zu beeinflussen.

Aber ist das überhaupt möglich? Als Menschen haben Journalisten immer eine Erziehung und Sozialisation, die ihren Blick auf die Welt beeinflussen. Gemeinsam mit persönlichen Erfahrungen, Werten, Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten ergibt sich ein hochkomplexes Setting, aus dem heraus ein Journalist seine Artikel, Reportagen oder Filme schreibt, dreht oder spricht.

Zweifel am etablierten Journalismus

Das Bild des „objektiven Journalisten“ ist schon lange am Wanken, nicht wenige plädieren daher für einen neutralen Journalisten, der alle Seiten zu Wort kommen lässt und unbeeinflusst und ausgewogen berichtet. Aber auch hier gibt es Zweifel. Ist es überhaupt möglich, sich einer Person, Firma, Institution oder einer Tatsache neutral gegenüber zu verhalten, die man ablehnt oder deren Haltung man teilt oder nicht teilt? Kommt hier nicht auch die Subjektivität ins Spiel, die uns erst zu Individuen macht?

Für NSA-Enthüller Glenn Greenwald ist klar: Das alles ist nicht möglich. Im Interview für das NDR-Medienmagazin ZAPP plädiert er deswegen für ein anderes Bild: Den aktivistischen Journalisten, der sich mit Leidenschaft den Themen widmet, die er wichtig findet. Der seinen Standpunkt und seine Sicht auf die Welt transparent und deutlich macht, aber bereit ist, die Gegenseite anzuhören und seine Meinung zu revidieren, wenn sich ein valides Argument dafür findet.

Mein Gegenargument, dass ich mit dem Begriff des Aktivisten ein Problem habe, da dieser im Allgemeinen mit allen Mitteln – auch unlauteren – versucht, seine Agenda durchzusetzen wollte Greenwald nicht gelten lassen. Auch die sogenannten „objektiven Journalisten“ würden dies tun, aber dabei verschleiern, dass sie überhaupt eine Agenda verfolgen. „Ich kenne viele Aktivisten, die mit offenem Blick durch die Welt gehen und bereit sind, auch die Argumente der Gegenseite zu hören, ohne Fakten zu verdrehen oder außen vor zu lassen.“

Die Artikel dieser „objektiven Journalisten“ mit intransparenter Agenda seien zum Beispiel während des Irak-Krieges außerdem viel wirkungsvoller gewesen als die Demonstrationen oder Flugblätter der Kriegsbefürworter. Mein Vorschlag, trotzdem stattdessen lieber von „gesellschaftlichen Akteuren“ und nicht „Aktivisten“ zu sprechen gefiel ihm nicht: „Sie versuchen da, etwas Untrennbares zu trennen“, meint er. „Wir Menschen sind keine Computer“. Aber neutralen Journalismus, der ohne Herz nur mit den reinen Fakten arbeitet fände er auch langweilig.

Elementar: Vertrauen der Leser, dass die Fakten stimmen

Das Wichtigste neben Transparenz und offen gelegten Standpunkten seien Ehrlichkeit und akurate Fakten, um das Vertrauen des Publikums zu gewinnen, da ist sich Greenwald sicher. Nur so hätte er sich mit seinem Blog eine Leserschaft aufbauen können. Viele etablierte Medienhäuser seien jedoch derzeit dabei, das in sie erbrachte Vertrauen zu verspielen, weil sie zu lange ihre Agenda verschleiert hätten. Das hätte in den analogen Jahren funktioniert, im Internetzeitalter würde dies jedoch dem Publikum auffallen.

Doch einen transparenten Standpunkt zu haben heißt für Greenwald nicht, dass man sich einer Gruppe anschließt: „Ich bin weder eine republikanischer Journalist, noch ein demokratischer Journalist. Ich war beiden Parteien immer sehr kritisch gegenüber.“ Er postuliert stattdessen einen unabhängigen, unbestechlichen Journalismus, der sich frei macht von Zugehörigkeitsgefühlen jeglicher Art. Ein hehres Ziel.

Hoher Anspruch an Journalisten

Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl, dass Greenwald einen sehr hohen Anspruch an Journalisten stellt. Sie sollen ehrlich sich selbst und dem Publikum gegenüber sein, ihren Standpunkt immer wieder auf’s Neue reflektieren und sich ihrer Selbst bewusst sein (er benutzt hier das englische Wort „self-aware“) – auch wenn er einräumt, dass das nicht immer zu 100 Prozent geht. Manchmal verstünde man erst hinterher seine eigenen Motive, aber auch 70 Prozent Selbstreflektion seien ja schon etwas.

Auch wenn ich viele Argumente von Greenwald teile und versuche, diesen ehrlichen und transparenten Journalismus so gut ich es kann zu leben: Seine Idee von Journalismus kommt mir in manchen Punkten fast genauso utopisch vor wie das Postulat des „objektiven Journalisten“. Es braucht viel Selbstreflektion und Mut, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

Wer sich öffnet, seine Haltung, seine Agenda und seinen Standpunkt klar wiedergibt, wer transparent arbeitet und sich fehlbar zeigt wird auf manchen Ebenen schneller angreifbar als andere, die den Deckel geschlossen halten. Angst vor Repressionen, vor finanziellen Konsequenzen, Shitstorms oder anderen Unanehmlichkeiten könnten manchen Journalisten davon abhalten, den von Greenwald präferierten Weg in die Tat umzusetzen. Zudem entstehen Abhängigkeiten schnell, gerade wenn es um Geld geht, und manchmal wird man sich diesen Abhängigkeiten erst bewusst, wenn es zu spät ist. Sich dann davon zu lösen erfordert unter Umständen viel Kraft – die nicht jeder zu jedem Zeitpunkt aufbringen kann oder will.

Aber all diese Einwände sollen nicht heißen, dass Journalisten nicht versuchen sollten so zu arbeiten (auch wenn ich mit dem Begriff des „Aktivismus“ immer noch ein Problem habe). Den eigenen Standpunkt offen zu legen und transparent mit seinem Background zu sein, ohne so zu tun, als könne man die Welt besser verstehen als andere wäre schon ein guter Anfang.

Hier das ganze Interview mit Glenn Greenwald im englischen Wortlaut. Aus produktionstechnischen Gründen ist es erstmal nur die unübersetzte iPhone-Version, die aber dafür mit Kameramann im Hintergrund ein bißchen Making-of-Feeling verbreitet.

Disclaimer

Ich hatte noch keine Zeit, das Interview zu verschriftlichen und zu übersetzen, stattdessen war es mir wichtiger, so rasch wie möglich einen Text zu schreiben. Der Artikel ist also mit Hilfe der oben verlinkten Aufnahme und meines Gedächtnisprotokoll entstanden, falls jemandem eklatante Übersetzungfehler oder Mißverständnisse auffallen sollten, bitte ich um einen Hinweis in den Kommentaren. Danke!


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